Rivista di Diritto SocietarioISSN 1972-9243 / EISSN 2421-7166
G. Giappichelli Editore

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Von der Mindest- zur Vollharmonisierung? Zur Regelung kapitalmarktrechtlicher Beteiligungspublizität in einer modernisierten Transparenzrichtlinie (di Prof. Dr. Holger Fleischer, LL.M./Dr. Klaus Ulrich Schmolke, LL.M., Hamburg)


Reforming the Transparency Directive: Minimum or full harmonisation of major shareholding notification?

Abstract by the Authors

The reform of the Transparency Directive is presently on the political agenda. One of the key questions looks at the right level of harmonisation: Should the current minimum harmonisation be retained or is a move towards full harmonisation advisable? After answering the question of EU competence for full harmonisation of Securities Regulation in the affirmative, this article weighs the pros and cons of full harmonisation by taking ownership disclosure rules as an example. In this respect, the ability to overcome costly legal fragmentation throughout Europe is identified as the greatest benefit of full harmonisation. Since not only compliance costs are reduced, but also investor confidence is spurred by full harmonisation, all market participants have a share in this benefit. On the other hand, full harmonisation goes with certain costs caused by its prevention of regulatory competition, the complexity in implementing EU Law in national legal systems, and the danger of a so-called petrification effect. On balance, however, these cost factors do not call into question the case for full harmonisation of major shareholding notification thresholds and conditions. The adaptive efficiency of the legal regime can and should be maintained by allowing contained temporary legislative experimentation.

SOMMARIO:

I. Einführung - II. Unionsrechtliche Entwicklung der Beteiligungstransparenz und Umsetzung in den Mitgliedstaaten - III. Meinungsstand zur Mindest- oder Vollharmonisierung der Beteiligungstransparenz - IV. Zur Vollharmonisierungskompetenz für das Kapitalmarktrecht - V. Zum Für und Wider einer Vollharmonisierung - VI. Zusammenfassung - NOTE


I. Einführung

„Nun sag, wie hast du’s mit der Vollharmonisierung?“ – diese unionsrecht­liche Gretchenfrage [[1]] stellt sich nicht nur für das Verbraucherprivatrecht [[2]], sondern auch für das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Einen aktuellen Anwendungsfall bietet die Trans­parenzrichtlinie [[3]], die gemeinschaftsweite Anforderungen für die Veröffentlichung regelmäßiger und laufender Informationen über börsennotierte Gesellschaften festlegt. Sie folgt bisher dem Grundsatz der Mindestharmonisierung, doch könnte sich dies bei ihrer anstehenden Modernisierung ändern: Anders als bei den verbraucherrechtlichen Richtlinien, deren geplante [[4]] Vollharmonisierung [[5]] in Wissenschaft [[6]] und Politik [[7]] auf massive Kritik stößt, wächst bei der Transparenzrichtlinie die Unterstützung für einen solchen Reformschritt. Dies gilt insbesondere für die Vorschriften über die kapitalmarktrechtliche Beteiligungstransparenz [[8]]. Für sie fragt auch die Kommission in ihrem Konsultationsdokument vom Mai 2010, ob ein einheitliches Melderegime oder wenigstens ein Verbot strengerer mitgliedstaatlicher Vorschriften wünschenswert sei [[9]]. Der vorliegende Beitrag greift diese Grundsatzfrage auf: Er zeichnet zunächst die unionsrecht­liche Entwicklung der Beteilungstransparenz und ihre Umsetzung in den Mitgliedstaaten nach (II.), bevor er den Meinungsstand zur Mindest- oder Vollharmonisierung der Transparen­zrichtlinie aufbereitet (III.). Sodann geht er auf das Bestehen einer Vollharmonisierungskompetenz im Kapitalmarktrecht ein (IV.) und widmet sich ausführlich dem rechtspolitischen Für und Wider einer Vollharmonisierung im Allgemeinen und der kapitalmarktrechtlichen Beteiligungstransparenz im Besonderen (V.).  


II. Unionsrechtliche Entwicklung der Beteiligungstransparenz und Umsetzung in den Mitgliedstaaten

1. Transparenzrichtlinie I (1988) . - Die Beteiligungstransparenz hat zuerst durch die Transparenzrichtlinie I aus dem Jahre 1988 [[10]] Eingang in das Europäische Kapitalmarktrecht gefunden. Deren Art. 4 Abs. 1 sah Meldeschwellen bei einen Stimmrechts­anteil von 10%, 20%, 1/3, 50% und 2/3 vor, wobei die Schwellen von 20% und 1/3 von den Mitgliedstaaten durch eine Schwelle von 25% und die 2/3-Schwelle durch eine solche von 75% ersetzt werden konnten. Art. 3 ermächtigte die Mitgliedstaaten ausdrücklich zum Erlass strengerer nationaler Vorschriften, solange sie das Diskriminierungsverbot beachteten [[11]]. Von dieser Ermächtigung hat der deutsche Gesetzgeber bei der Richtlinienumsetzung durch das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz [[12]] Gebrauch gemacht, indem er den Eingangs­schwellenwert auf 5% festsetzte. Hiermit sollte die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland im internationalen Wettbewerb gefördert und das Vertrauen der Anleger in die Funktionsfähigkeit des deutschen Aktienmarktes gefestigt werden [[13]]. Außerdem sollte auf diese Weise die Bereitschaft ausländischer Investoren gesteigert werden, sich an deutschen Aktiengesellschaften zu beteiligen. 2. Transparenzrichtlinie II (2004).–Die Transparenzrichtlinie II aus dem Jahre 2004 [[14]] hat die Offenlegungsregeln über bedeutende Beteiligungen verschärft, indem sie die Eingangs­meldeschwelle auf 5% abgesenkt, zusätzliche Meldeschwellen von 15%, 20% und 30% ein­geführt und die Meldepflicht auf das Halten bestimmter Finanzinstrumente erstreckt hat, die zum Erwerb von Aktien berechtigen. Begründet wurde die Ausweitung der Beteiligungstrans­parenz mit den Anliegen des Anlegerschutzes und der Markttransparenz [[15]]. Unter der Überschrift „Integration der Wertpapiermärkte“ sieht die reformierte Richtlinie eine Kombination aus Herkunftslandprinzip und Mindestharmonisierung vor [[16]]. Danach kann der Herkunfts­mitgliedstaat – regelmäßig der Sitzstaat des Emittenten (Art. 2 Abs. 1 lit. i) – für die melde­pflichtigen Personen strengere Anforderungen als in der Richtlinie stellen (Art. 3 Abs. 1 Unter­abs. 2). Der Aufnahmemitgliedstaat darf hingegen hinsichtlich der Mitteilung von Informationen keine strengeren Anforderungen stellen (Art. 3 Abs. 2 lit. b). 3. Umsetzung der [continua ..]


III. Meinungsstand zur Mindest- oder Vollharmonisierung der Beteiligungstransparenz

1. Regelungsstrategie der Kommission und Vorarbeiten auf europäischer Ebene. – Die Kommission vollzieht seit dem Aktionsplan für Finanzdienstleistungen von 1999 im Kapitalmarktrecht – anders als im Gesellschaftsrecht [[41]] – augenscheinlich einen Strategiewech­sel von der Mindest- zur Vollharmonierung [[42]]. Jedenfalls hat sie wiederholt deutliche Vorbehalte gegenüber einem gold plating der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung finanzmarkt­rechtlicher Richtlinien geäußert [[43]]. Vor allem im Bereich der Beteiligungstransparenz sind ihr strengere nationale Vorschriften und die damit einhergehende uneinheitliche Umsetzung der Richtlinie ein Dorn im Auge. In ihrer Mitteilung an den Rat und das Parlament vom Mai 2010 wirft sie daher die Frage auf, „ob die derzeitige Regelung (d.h. ein Mindestmaß an Harmonisierung) geeignet ist, ein effektives Niveau an Harmonisierung der Transparenzanforderungen in der EU zu erreichen“ [[44]]. Die zur Vorbereitung dieser Mitteilung eingeholte externe Studie, der sog. Mazars-Bericht, bezieht noch deutlicher für eine Vollharmonisierung der Beteiligungstransparenz Stellung. Um die Einhaltung der Meldevorschriften zu vereinfachen, schlägt er eine Vollharmonisierung für folgende Regelungsgegenstände vor: die Definition der Kategorien meldepflichtiger Finanzinstrumente und -produkte, die Ausnahmen von der Mitteilungs- und Veröffentlichungspflicht, die Fristen für die Meldung und Offenlegung der Beteiligung, die Meldeschwellen sowie den Inhalt der Meldung [[45]]. Bereits zuvor hatte die European Securities Markets Expert Group (ESME) [[46]] im Rahmen der Debatte um eine Transparenzpflicht für aktienbasierte Baraus­gleichsderivate eine Vollharmonisierung befürwortet, um die Compliance-Kosten grenzüberschreitend tätiger Vermögensverwalter möglichst gering zu halten [[47]]. Das einschlägige Konsultationspapier von CESR [[48]] hat die Frage der Mindest- oder Vollharmonisierung hingegen ausgespart [[49]]. 2. Stellungnahmen im Schrifttum.– Im Schrifttum wird die Frage nach einer Voll- oder Mindestharmonisierung der Vorschriften über die Beteiligungstransparenz bisher kaum erörtert. Unter den wenigen Stellungnahmen werben einzelne für eine weitgehende Vollharmonisierung der [continua ..]


IV. Zur Vollharmonisierungskompetenz für das Kapitalmarktrecht

Vor dem rechts­politischen Für und Wider einer Vollharmonisierung ist zunächst die Frage einer Vollhar­monisierungskompetenz für das Kapitalmarktrecht zu klären. In der Debatte um die Vollharmonisierung des Verbrauchervertragsrechts haben einige Stimmen bezweifelt, ob hierfür überhaupt eine europäische Rechtssetzungskompetenz besteht [[55]]. Die namentlich in die Kritik geratene Verbraucherkreditrichtlinie [[56]] stützt sich auf Art. 114 AEUV (bisher: Art. 95 EG), der neben Art. 50 AEUV (bisher: Art. 44 EG) auch der Transparenzrichtlinie II als Ermächtigungs­grundlage dient [[57]]. Art. 114 Abs. 1 AEUV ermächtigt die Gemeinschaft zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes i.S.d. Art. 26 AEUV zum Gegenstand haben. Diese final und funktional auf die Verwirklichung des Binnenmarktes ausgerichtete Kompetenz [[58]] ist aus­weislich des Kontrollverfahrens nach Art. 114 Abs. 4 bis 9 AEUV als Vollharmonisierungs­kompetenz konzipiert [[59]]. Ihre Ausübung setzt allerdings voraus, dass die Gemeinschafts­maßnahme die Verbesserung der Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes bezweckt [[60]] und hierzu auch geeignet ist [[61]]. [[62]] Nach der ersten „Tabak“-Entscheidung des EuGH muss die betreffende Maßnahme tatsächlich zur Beseitigung von spürbaren Wettbewerbsverzerrungen (1.) oder Hemmnissen für die Grundfreiheiten (2.) beitragen [[63]]. 1. Spürbare Wettbewerbsverzerrung und Beteiligungstransparenz.– Unterschiedlich strenge Regeln zur Beteiligungstransparenz in den Mitgliedstaaten begründen die konkrete Gefahr spürbarer Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt für unternehmerischen Einfluss oder Unternehmenskontrolle (Stichwort: aktivistische Hedgefonds [[64]]). Den Mitgliedstaaten geht es bei ihrem gold plating der Beteiligungstransparenz nämlich nicht selten um den Schutz inländischer Unternehmen vor einem unbemerkten Anschleichen ausländischer Übernahmeinteressenten [[65]]. Umgekehrt führt ein weniger strenges, d.h. näher am Minimalstandard der Richt­linie ausgerichtetes, Melderegime zu höheren Informationskosten des Anlegerpublikums [continua ..]


V. Zum Für und Wider einer Vollharmonisierung

Wie soll die Beteilungstransparenz in einer reformierten Transparenzrichtlinie geregelt werden? Was spricht für, was gegen ihre Vollharmonisierung? Erste Fingerzeige gibt ein Blick auf die allgemeine Diskussion zur Mindest- oder Vollharmonisierung im Gemeinschaftsprivatrecht [[75]]. 1. Allgemeine Vor- und Nachteile einer Vollharmonisierung.– Das allgemeine Für und Wider einer Vollharmonisierung ist im gemeinschaftsrechtlichen Schrifttum gut aufbereitet: – Senkung der Rechtskosten der Anbieterseite: Der große Vorzug der Vollharmonisierung besteht darin, dass sie die Rechtszersplitterung überwindet (oder schon von Anfang an vermeidet), die häufig aus einer Mindestharmonisierung folgt [[76]]. Diese Rechtszersplitterung bewirkt, dass den grenzüberschreitend tätigen Unternehmen erhebliche Kosten durch die Einhaltung unterschiedlicher Vorschriften entstehen [[77]]. Die Geltung eines von seinem Heimatrecht verschiedenen, fremden Rechts schafft für den Anbieter von Waren und Dienstleistungen hohe Risiken, die er nur durch Einholung teuren Rechtsrats eindämmen kann. Nach Erhebungen der Kommission verzichten daher viele Unternehmen selbst für den elektronischen Geschäftsverkehr auf ein Angebot an Verbraucher, die durch das Recht eines anderen Mitgliedstaates geschützt werden [[78]]. Durch eine Vollharmonisierung entfielen diese zusätzlich anfallenden Rechts­kosten für die Anbieter. Ein Anstieg des grenzüberschreitenden Handels wäre die Folge. – Senkung der Informationskosten der Nachfragerseite und Schaffung von „Verbraucher-vertrauen“ durch ein einheitliches Schutzniveau: Auf der Nachfragerseite beseitigt die Voll­harmonisierung die Informationskosten, die für einen Vergleich des fremden Rechts mit dem bekannten Heimatrecht anfallen. Nachfrager, die diese Kosten scheuen, unterliegen häufig einem binnenmarktfeindlichen, weil den grenzüberschreitenden Wettbewerb verkürzenden „home bias“ zugunsten einheimischer Anbieter [[79]]. Die Kommission führt die Skepsis der europäischen Verbraucher gegenüber Einkäufen im Ausland auch auf die Zersplitterung des gemeinschaftlichen Verbraucherrechts zurück und beabsichtigt, diese psychologischen Barrieren mit Hilfe einer vollharmonisierenden Verbraucherrechterichtlinie [continua ..]


VI. Zusammenfassung

 1. Die Frage nach dem richtigen Harmonisierungskonzept stellt sich gegenwärtig nicht nur im Europäischen Verbrauchervertragsrecht, sondern auch im Europäischen Kapitalmarktrecht. Während eine Vollharmonisierung verbraucherrechtlicher Richtlinien auf verbreitete Kritik stößt, wächst die Unterstützung für einen solchen Reformschritt bei der kapitalmarktrechtlichen Transparenzrichtlinie. 2. Die Transparenzrichtlinie, die gemeinschaftsweite Anforderungen für die Veröffentlichung von Informationen über börsennotierte Gesellschaften festlegt, folgt bisher dem Grund­satz der Mindestharmonisierung. Ihre Umsetzung hat zu starker Rechtszersplitterung in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführt. Dies gilt insbesondere für die Vorschriften über die Beteiligungstransparenz. Die Kommission erwägt deshalb einen Paradigmenwechsel von der Mindest- zur Vollharmonisierung. 3. Kompetenziell lässt sich eine Vollharmonisierung der Vorschriften über die Beteiligungs­transparenz auf Art. 114 AEUV stützen: Einheitliche  Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sind geeignet, spürbare Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt für unternehmerischen Einfluss zu bekämpfen und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu befördern, indem sie gemeinschaftsweit einheitliche Anlage- und Investitionsstrategien ermöglichen. 4. Eine Vollharmonisierung des Melderegimes würde zu sinkenden Compliance-Kosten für institutionelle Investoren führen. Außerdem verspricht sie eine bessere Vergleichbarkeit der Beteiligungsmitteilungen und fördert so das allgemeine Anlegervertrauen. Nennenswerte Einpassungsprobleme auf mitgliedstaatlicher Ebene sind nicht zu gewärtigen. Zur Erhaltung der Anpassungseffizienz sollte die Transparenzrichtlinie aber zeitlich begrenzte Experimentierklauseln für nationale Einzelregeln vorsehen. Auch sollte sie genügend Raum für Durchfüh­rungsmaßnahmen belassen. 5. Im konkreten Zugriff empfiehlt sich eine Vereinheitlichung der meldepflichtigen Finanz­instrumente, der Meldeschwellen und -fristen sowie des Meldeformats. Die Vereinheitlichung der Enforcement-Mechanismen sollte einer späteren Reform(diskussion) vorbehalten bleiben. 6. Ob sich auch eine Vollharmonisierung anderer [continua ..]


NOTE
Fascicolo 4 - 2010